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Das Magniviertel - Beispiel bürgerlicher Gestaltung städtischen Lebens
Anmerkungen von Jürgen Husung, 1979.
Das Magniviertel ist ein alter Stadtteil, der in seinen wesentlichen Zügen die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges überdauert hat. Auch der Bauwut der Wirtschaftswunderzeit fiel das alte Viertel nicht zum Opfer. Aus seiner von keinem spekulativen wirtschaftlichen Interesse gestörten Ruhe erwachte das Viertel erst, als an seinem Rande ein Kaufhausbau entstehen sollte, der aus der Perspektive des mittelalterlich-kleinteiligen Quartieres wahrhaft gigantische Ausmaße hatte. Der organisierte Widerstand der Bürger und Geschäftsleute des Viertels konnte zwar das pompöse Bauwerk nicht verhindern, aber es hatte sich auf dem Umwege der Opposition ein Quartierbewußtsein entwickelt, das den Anliegern die Augen öffnete für das eigentümliche Milieu des Viertels. Es dämmerte eine Ahnung von den spezifischen Möglichkeiten dieses Gebietes, das sich als relativ eigenständiges Territorium vom städtischen Umfeld abhebt. So sind die erlebten Grenzen des Viertels durch breite Straßenzüge (Stobenstraße, Georg-Eckert-Straße) oder durch weitläufige Parkanlagen (Schloßpark, Museumspark, Löwenwall) deutlich markiert und umschreiben einen überschaubaren Lebensraum, der das menschliche Maß eines Fußweges nicht übersteigt. Markante und unverwechselbare Baulichkeiten (z. B. Magnikirche) fungieren als Merkzeichen, die die Orientierung erleichtern und den Bewohner als vertraute Merkmale daran erinnern können, daß er "zu Hause" ist. Solche Möglichkeit, einen Ort über seine augenfälligen Eigenarten zu identifizieren, ist Voraussetzung für das, was Wissenschaftler "Identität des Ortes" nennen und als mögliche Voraussetzung für das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ort herausstellen, das seinerseits eine soziale Grundleistung darstellt, die Bedingung der Möglichkeit vielfältiger anderer sozialer Leistungen ist. Nach meiner Beobachtung gibt es im Magniviertel durchaus Ansätze zu einem solchen Zugehörigkeitsgefühl, die sich sozial entwickeln ließen. Auffällig viele Familien wohnen schon in der zweiten oder dritten Generation im Viertel, und zwar nicht nur Hauseigentümer, bei denen es nahe liegt, sondern auch Mieter. Ebenso fällt auf, daß ehemals im Viertel Ansässige gern in es zurückkehren bzw. jetzt Ansässige es ungern verlassen. Dieser Tendenz zur Seßhaftigkeit korrespondiert die Anziehungskraft, die das Viertel ausübt. Die Zahl derjenigen, die im Viertel ansässig werden möchten, ist größer als die Zahl der Wohnungen, die heutigen Ansprüchen an Wohnraum gerecht werden. Und sicher ist, daß Neubürger sich relativ schnell in das Viertel integrieren können, wenn sie diese Integration wollen. Im Blick auf dieses Problem wären fundierte Befragungen wünschenswert, deren Relevanz für die Stimulation des öffentlichen Lebens die Ergebnisse von Verkehrszählungen weit übersteigt.
Neben diesen klassischen Institutionen bürgerlicher Kultur sind auch gastronomische Betriebe im Viertel vertreten. Man darf in den Restaurants und Gasthäusern nicht nur Höhlen des Lasters sehen oder Freizeitheime von Alkoholikern. Es ist vielmehr nachgewiesen, daß die "Kneipe um die Ecke" einen Kommunikationsschwerpunkt bilden kann, der vielfältige Folgekontakte ermöglicht. Diese konstruktive Wirkung hebt sich allerdings auf, wenn sich durch eine Anhäufung solcher Betriebe ein Zentrum der Vergnügungsindustrie herausbildet, das so viel Belästigung mit sich bringt, daß das Wohnen darunter leiden muß. Die Möglichkeit, ungestört zu wohnen, ist aber eine Bedingung, ohne die sonst gar nichts geht. Sie ist so selbstverständlich und zumindest rhetorisch so allgemein anerkannt, daß wir uns gezwungen sehen, gegen diesen Bereich der Privatheit auf die Bedeutung der Öffentlichkeit als Lebensraum zu verweisen, der im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht.
In diesem Kontext sollte man auch das Magnifest sehen, dessen Erfolg nur Mißgunst und Unverstand auf besonders intensive Möglichkeiten des Konsums von Bier und Wurst zurückführen kann. Diese Möglichkeiten bestehen eigentlich immer und auch anderswo, ohne daß es dabei zu dem Kommunikationserlebnis kommt, das viele Besucher des Magnifestes so nachdrücklich in Erinnerung behalten. Zu berücksichtigen ist, daß es hier Atmosphäre und Situation sein müssen, die kommunikative Beziehungen sehr wahrscheinlich machen. Das liegt wohl auch darin, daß Häuser, Straßen und Plätze des Magniviertels sehr menschlich proportioniert sind und eben humanen Maßen entsprechen, die Ausdruck eines Bauwillens sind, der nicht so sehr rein wirtschaftlichen Erwägungen als vielmehr einem nachbarschaftlichen Konsens entsprang. Umso behutsamer muß man mit dieser Gunst der Architektur umgehen. Überhaupt sollte man die Altstadtfeste nicht leichtfertig als Konsumspektakel denunzieren. Sie können durchaus auch als Zeichen eines wiedererwachten städtischen Gemeinschaftslebens verstanden werden und verdienen eine ernsthafte stadtpolitische Aufmerksamkeit. Wo diese Feste nämlich von der Bürgerschaft selbst getragen werden, stellen sie doch Kommunikationsverhältnisse her, die zumindest temporär sogenannte "schichtenspezifische Barrieren" durchbrechen und zu manchem Dialog führen können, der arm ist an gesellschaftlicher Geltungssucht und fern von Konkurrenzdruck. Solche schlichte Kenntnisnahme von Neben-Menschen beinhaltet die Chance, den Mitmenschen kennenzulernen und damit die Möglichkeit nachbarschaftlicher Kommunikation, wenn man den Funken der besonderen Situation, die ein Fest zunächst ist, am Glühen erhält. Das setzt einerseits bürgerliches Engagement voraus, das durch Kontinuität gekennzeichnet ist. Andererseits könnten politische Kräfte und Verwaltung der Städte vielfältige Unterstützung leisten, um dergestalt den Geist der Stadt zu pflegen. Brauchtumsforscher haben auf die kommunikative Wirkung und politische Bedeutung der alten Volksfeste hingewiesen. Sie betonen aber auch, daß z. B. die Fastnacht, die alle Merkmale eines wirklichen Volksfestes aufwies, durch elitäre Verwaltung und Vereinsmeierei zu einer ausschließlichen Angelegenheit der oberen Mittelschicht verkommen ist. Eine Wiedergeburt des Volksfestes, so vermerkten Volkskundler und Brauchtumsforscher unlängst auf einer Tagung in Mainz, sei wohl in den Altstadtfesten zu sehen. Das zeigt auch, wie wichtig es ist, möglichst viele Bürger aller Schichten an Vorbereitung und Durchführung solcher Feste zu beteiligen. Besondere Vorsicht ist deshalb bei Bemühungen geboten, solche Veranstaltung, die weniger eine kommerzielle als vielmehr eine politische Chance birgt, in die Verwaltung einer Agentur zu geben und sie so von der Basis zu lösen. Wohl aber könnte man sich - zumal in Problemgebieten wie der City eine professionelle Organisationshilfe vorstellen, die bürgerliche Eigeninitiative in Bewegung setzt und das Gewirr unterschiedlichster Vorstellungen in eine Ordnung bringt, die noch genug Raum läßt für Spontanität und erfinderische Kreativität. Jürgen Husung
Aus: Deine Stadt 1979, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Braunschweig. |