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Cord Machens: "James Rizzi in Braunschweig - Glücksfall oder Fehlbesetzung"

Der Schluss

Möglichkeiten und Moral

Wo steckt der Wurm in Braunschweigs Stadtplanung? Es können nicht die veränderten städtebaulichen Leitbilder sein, mal "gegliedert und aufgelockert" und dann der Rückbau von Strassen und die Wiederentdeckung von Block und Stadtraum. Das kann nur Aspekte der Stadtplanung bestimmen, wenn sie konsequent von der Stadtstruktur und der vorhandenen Architektur ausgeht, und endlich einmal in einem übergreifenden städtebaulichen Rahmen- oder Zielplan die Defizite deutlich definiert und längerfristige Planungsziele setzt, die dann Richtschnur für jede weitere Detailplanung sein müssen. So repariert man zusammenhanglos an Detailproblemen und hat das Ganze längst aus den Augen verloren.

Dabei ist die Substanz Braunschweigs immer noch bemerkenswert. Die "Gute Stube" der Stadt ist der Burgplatz, der an Bedeutung dem Schlosspark vorausging, mit Dom, Burg und Löwenstandbild. Ein beeindruckendes Ensemble, zu dem noch die Fachwerkbauten und das Vieweghaus zählen. Bezeichnend, das es nicht gelingt, diesem auch touristischen Zielpunkt Platzleben einzuhauchen, täglich, nicht nur zu den Märkten. Die Cafeplätze sind nicht einladend und die postmodernen Pavillons zur Ausstellung "Stadt im Wandel" waren nur peinlich. Das Vieweghaus ist zum Landesmuseum umgebaut worden, eigentlich entkernt und anstatt - wenn man schon einmal so weit war - es auch konsequent nach ausstellungstechnischen Gesichtspunkten neu zu wagen, restauriert mit zum Teil grässlichen Details. Das betrifft z.B. die Hofüberdachung und die Aufstellung des Löwen, die seiner Bedeutung nicht gerecht wird. Das alles ist schon beschämend genug, aber wer hat sich diese Farbe einfallen lassen, diese Mischung aus Braun-Grau und Grün? Damit ist diese radikal auf Wandschichten, Körper und Proportion reduzierte Architektur übertüncht worden. Der wichtigste deutsche Bau seiner Zeit farblich auf den kleinsten gemeinsamen Nenner gebracht, die Farbe der Mutlosigkeit. Kein Wunder, dass man sich nach bunten Akzenten sehnt.

An anderer Stelle war der Mut so gross, dass man die Ringe mit Hochhäusern gleichsam abstecken wollte, eine städtische Idee mit Effekt, wäre sie durchgehalten worden. Ein paar Türme sind entstanden, darunter das erwähnte BS 4, das zu verdoppeln Ungers einmal ironisch vorschlug, damit es als städtisches Tor seine Hässlichkeit erträglich machte. Das BS 4 steht am Rande der Altstadt, das ist keine Entschuldigung, denn auch mitten in der Stadt ist schlechte Architektur neben Qualität entstanden, wie das neue Rathaus neben dem von Stadtbaurat Winter. Ein Gebäude mit Mitte, Kontur und stadtwirksamem Turm wird erweitert durch zusammengestaffelte Gestaltlosigkeit, und der Entwurf kapriziert sich auf plastisch geformt Brüstungsplatten, Kunst am Bau statt Baukunst. Vis a vis über den Schlosspark hinweg entsteht das Rizzi Haus, und das hätte - das Auge ist vom Rathaus immer noch getrübt - so seine Faszination. Auf den ersten Blick!

Über die Seriosität des Rizzi Hauses als Architektur haben wir spekuliert. Es mag interessant sein und verführerisch, wenn man Aufgeregtheiten sucht, fragt sich noch, wo die Architekten den Mut her nehmen, mal eben etwas Artifizielles zu wagen und gleichzeitig z.B. das heikle Problem lösen, die notwendigen Fenster - die Hundertwasser zum Ausgangspunkt seiner Fassadendekoration macht - mit den darauf gar nicht vorbereiteten Rizzi-Motiven zu koordinieren..

Zum Rizzi Haus als Städtebau: Es ist nicht die Frage, dass der Ort einen Akzent verträgt, wenn nicht sogar braucht. Dieser Bau aber ist im Wortsinn oberflächliche Werbung. Er fände seinen Platz besser in einem vorstädtischen Gewerbegebiete. Da könnte er mit den SMART-Türmen konkurrieren. Das ist neckisch, aber kein Städtebau.

Zum Rizzi Haus als Teil einer städtischen Collage: Es wird einen unseriösen Part spielen müssen. Fragmente einer ernsthaften Collage erläutern sich aus dem Kontakt zum Vorhandenen, und sie haben ihre Geschichte, die in der Erinnerung ihres Typus liegt. Ein SMART-Turm hat so wenig Geschichte, wie das Rizzi Haus typologische Tiefe. Die braucht es an der Stelle nicht, hier am Ackerhof schon, und verlangt solch exponierte Lage nicht auch ein Gebäude mit öffentlicher Nutzung?

Es mag im Augenblick utopisch sein, eine schon lange nötige Galerie für Moderne Kunst vorzuschlagen, oder ein Museum für die Geschichte der Schlösser und Welfen zum Beispiel, auf halber Strecke zwischen Landes und Städtischem Museum, zwischen dem Kunstverein und Herzog-Anton-Ulrich-Museum. Was für eine exquisite Lage. Und dann gehörte - um die Idee weiter zu spinnen - ein offener Wettbewerb ausgelobt, vor allem für die Braunschweiger Architekten, und Ungers würde dazu eingeladen, wegen seiner Verdienste um den Schlosspark, und Libeskind als Antipode auch, weil man ihn gerade an der Technischen Universität - er hatte sich um die Nachfolge Prof. Ostertags beworben - nicht haben wollte. Typisch.

"Mit diesem Projekt wollen wir weg von der Bodenständigkeit des Bauens hin zu einer experimentellen Architektur, zur Verschmelzung von Kunst und Technik. Mit Rizzi-Motiven arbeiten zu können, die Lässigkeit und die Kunst des Pop-Art hier umzusetzen in ein Gebäude, ist schon eine geniale Herausforderung." das schreibt Konrad Kloster, der Architekt des Rizzi Hauses zu seinen Ambitionen. Wenn man nicht wüsste, was Bodenständigkeit und Experiment eigentlich bedeuten und wie oft schon Kunst und Technik verschmolzen worden sind und was Lässigkeit und Kunst miteinander zu tun haben, könnte man sich auf das Rizzi Haus freuen, auf den Neubeginn einer Architektur in Braunschweig. Aber wir sind - nicht nur durch die Eloquenz - skeptisch geworden. Musil hat sich im "Mann ohne Eigenschaften" über die Inflation des Begriffes "genial" mokiert, Herausforderungen sind es nicht, Lösungen allenfalls können genial sein.

Das steht hier nicht zu erwarten, das geht schief, so schief wie die Grundrisse und die Fassaden des Rizzi Hauses. Es ist schon schwer genug, mit rechten Winkeln vernünftig zu bauen, doch das hat man in Braunschweig immer gut verstanden, vom Dom über das Vieweg-Haus zu Flebbe. Das ist die tief verwurzelte niedersächsische Gradlinigkeit und als Stil Klassizismus geworden. Nicht, dass er etwas Heiteres vertragen könnte, aber schon der Braunschweiger Karnevalsumzug hat etwas Aufgesetztes und Lächerliches, eine Maskerade ohne Hintergrund. Doch der Aschermittwoch droht, wenn das Rizzi Haus ein paar Jahre alt ist, denn es kann nicht alt werden, es wird keine Patina ansetzen und keine Geschichte bekommen. Es wird ständig geputzt werden müssen, damit es glänzt wie am ersten Tag. Und irgendwann, wenn Werbung und Gags sich verbraucht haben, wird die Fassade ausgetauscht werden, das Braunschweiger Spiet, mit jedem Gebäude eine Sorge mehr.

Architektur im guten Sinne, also wieder Dom, Vieweghaus und Flebbe, ist Kunst und hat über das Konstruktive und Funktionelle hinaus die Aufgaben von Kunst, die kulturellen Fähigkeiten einer Epoche in Stein oder Beton zu setzen. Das Rizzi Haus aber unterhält nur und verbreitet Euphorien, das ist Disneyland und Kitsch. Kunst darf - muss auch - unterhalten, aber das ist ihre List zum humanistischen Ziel.

Auf dem Cover der Happy-Rizzi-House-Website steht vor lustigen Häusern ein Bus mit lustigen Touristen. Falls sie kommen, wird ihnen vor dem Rizzi Haus das Lachen vergehen. Und wenn sie nicht kommen, vergeht der Stadt das Lachen.

 

Prof. Dipl.-Ing. Cord Machens, Architekt

Der Architekt, Feuilletonist und Illustrator Cord Machens, geboren 1943, ist in Kiel und Westerland aufgewachsen, hat in Braunschweig - der Stadt seiner Väter - studiert, demonstriert, assistiert, mitgebaut und über Architektur geschrieben und gezeichnet. Seit 1994 lehrt er an der FH in Köln "Gestaltungslehre und Entwerfen" und arbeitet an einem Lehrbuch "Vom Charme der einfachen Konstruktion" und an einem Kinder-Bilderbuch "Die Heinzelkrabben von Köln" mit überraschenden Enthüllungen zum Bau des Doms.

 

Inhalt

 

1999 Richard Borek Stiftung, Theodor-Heuss-Strasse 7, 38090 Braunschweig.
Die 28-seitige Broschüre ist für 2 Mark Schutzgebühr bei Borek am Dom erhältlich.

Magniviertel www.magniviertel.de