Original Einkaufsziel
Das Quartier
Lageplan
Termine
Home
Das Quartier in Wort und Bild   Suchen Webcam am Kirchplatz

Cord Machens: "James Rizzi in Braunschweig - Glücksfall oder Fehlbesetzung"

Entwurf einer Collage

Das Vorhandene

Ungers ging bei seinem Gutachten von der Stadtgeschichte aus, so wie sie sich über Jahrhunderte in Struktur und Figur manifestiert hat. Diese rationalistische Methode, die für alles Entwerfen naheliegend zu sein scheint und doch nicht selbstverständlich ist, setzt neben Disziplin historische Sensibilität und typologische Kenntnisse voraus. Die Analyse des "genius loci" schafft selbstgewählte Bindungen, Einschränkungen, die dem auf Kreativität fixierten Künstler-Architekten nicht behagen. Innerhalb dieser Bindungen allerdings ist der Bescheidenere frei aus dem Fundus des schon Gedachten zu wählen und neu zu deuten, und was immer er dann gewählt hat, es ist richtig für den bestimmten Ort. Wie weit das Spektrum reicht, zeigen die variationsreichen Vorschläge von Ungers. Der kluge Rückgriff auf die "Bilder" der Baugeschichte und die mit ihnen transportierten Ideen, schützt Zufall und Deplazierung. Die handwerklichen Traditionen der Architektur sind mit den neuen Materialien verloren gegangen. Bis in unser Jahrhundert bestimmten - jenseits der Stile - übliche Parzellengrössen, Konstruktionsweisen und Baustoff das Gesicht der Architektur. Die Moderne verband die weisse Eleganz wenigstens mit sozialer Attitüde. In den Sechzigern verkam die Schlichtheit der Zwanziger zu Einfallslosigkeit und Monotonie. Es musste etwas geschehen und es geschah zweierlei: die Wiederbelebung der rationalen Methode durch Ungers und Aldo Rossi und der neue Historismus durch die Postmoderne mit ihrer Willkür und Fragwürdigkeiten, auffallen statt einfügen.

Zwischen diesen Polen kann der Architekt sich entscheiden, doch bevor die Entscheidung der Rizzi-Architekten untersucht werden soll, lohnt sich nach dem historischen Überblick ein Genauer auf die vorhandenen Bauten der Collage an der Eckert Strasse. Denn die Vorstellung des Ungers-Gutachtens sollte nur das hohe Niveau möglicher Entwürfe andeuten, die Baustellenschilder am Ackerhof beweisen, dass ganz anders gebaut wird und das soll nicht nur an Utopien gemessen werden, sondern an den Eigenarten der bestehenden Architektur. Die fünf wichtigsten Bauten sollen herausgegriffen werden: Das Herzog-Anton-Ulrich-Museum und Flebbe, die Schule und der Hundertmark-Bau und schliesslich Horten.

Ansichten
Das Vorhandene
Herzog-Anton-Ulrich Museum (1883-87, O. Sommer).
Die "Ziegel"-Schule (vor 1900).
Horten (Bofinger u. Partner, 1972-74).
 
Flebbe (F.-W. Kraemer, 1952).
Bebauung (D. Hundertmark, nach 1997).
Barmer-Ersatz-Kasse (Kloster u. Wiebe, in Planung).
 

Das Museum wurde 1883 - 87 von Oskar Sommer errichtet und beherbergt die von Anton Ulrich angelegte Gemäldesammlung. Die lange Front betont ihre strassenbegleitende Aufgabe, sie hat zwar Anfang und Ende, mit Risaliten betont, aber keine Mitte. Der dunkle Sockel korrespondiert mit dem schmalen Attikageschoss, dazwischen das rustizierte Erdgeschoss und die bel-etage im flachen Relief mit Ädikulen, deren Wechsel zwischen Boden- und Dreiecksgiebeln einen schnellen Rhythmus erzeugen. In den Risaliten sind die Geschosse mit durchgehenden Halbsäulen in grosser Ordnugen zusammengefasst, dort bekommt der ganze Baukörper durch die Kuppeln zusätzlichen Halt. Dieser klassische Aufbau einer massiven Steinfassade sei so ausführlich beschrieben, weit seine Zonierung auch in moderner Architektur nie vergessen wurde, wie zum Beispiel beim Kaufhaus Flebbe, dass F. W. Kraemer 1951 entworfen hat.

Die elegante vorgehängte Glasfassade zeigt die Möglichkeiten des modernen Skelettbaus ohne sich alter Tektonik zu verweigern. Das Erdgeschoss setzt mit kräftigen Säulen einen Umgang frei, der nun in dem zurückgesetzten Penthaus seinen Widerpart findet. Die belle-etage ist mit hohen, filigran gefassten Fenstern ganz aufgelöst, in den drei Normalgeschossen wird der Takt halbiert. (Und immer gab es die Legende, Kraemer selbst habe angeordnet, welche Stellung die Jalousien bei Nachtbeleuchtung haben sollen.) Wie dem auch sei, der wichtigste Bau der "Braunschweiger Schule" zeigt klassische Gliederung im modernen Skelettbau während das streng gegliederte Museum im Steinbau das latente Skelett aus Pfeiler und Gebälk ahnen lässt.

Die Schule an der Eckert Strasse demonstriert massiven Fassadenaufbau in der Backsteinvariante. Bei ihr ist das Relief materialbedingt reduzierter, die Bänderung des Erdgeschosses ist die Erinnerung an Rustika. Sonst erlaubt sich das Gebäude nur im Mittelrisalit und der war ursprünglich auf die verschwundene Schulstrasse bezogen, grosse gotisierende Geste und etwas Dekor, im Ganzen ein Bau von Schinkelscher Strenge, würdig in der differenzierten Schlichtheit. - Was für ein Getöse macht dagegen der Hundertmark-Bau. Alles ist fragwürdig. Die auskragenden Obergeschosse sollen an Fachwerkbauten erinnern, was für eine Anstrengung im Ziegelbau. Die verquälten Erker und die zahlreichen Risalite spielen wieder mittelalterliche Kleinteiligkeit. Die Postmoderne biedert sich volkstümlichem Geschmack an - oder was sie dafür hält.

Horten dagegen biedert sich überhaupt nicht an und zeigt damit die Schwächen der Spätmoderne. Die Schachtel zieht sich im Grundriss und als Baukörper auf sich selbst zurück, die damals firmentypische Fassade verstärkt die fremdartige Isolierung und die, bei aller Qualität im Detail, masstabssprengende Grösse.

Drei gute Bauten, ein schlechter und ein deplatzierter, woran hält sich das Rizzi Haus und, denn das muss man zusammen sehen, das Gebäude der Barmer Ersatzkasse gleich nebenan. Es heisst auf dem Bauschild "Ackerhof-Ost-Bebauung Bauteil C". Suggeriert das nicht einen gemeinsamen Plan. "C" als Ergänzung von "A" und "B"? Der Hundertmark-Bau also "A" und das Rizzi Haus "B"? Fragen, die das Gebäude so wie es auf dem Bauschild zu sehen ist, nicht beantworten kann: Es scheint, als wenn Richard Meier nach Frankfurt und Ulm nun auch in Braunschweig seine Visitenkarte hinterlässt. Weisse abgelöste Wandscheiben, Schiffsdynamik und Schichten von Guckkastenbühnen, etwas fremd im Zusammenhang der fünf älteren Ensemblemitglieder. Ist das die städtebaulich bewusste Komplettierung einer Collage oder ist es das, was gerade noch fehlte, der weisse Stil, der im bunten Reigen. Die Collage als Wettlauf um das, was der eitle Architekturmarkt im Augenblick so bietet. Aber der Bau ist gar nicht von Richard Meier, er ist von denselben, beneidenswert polyglotten Architekten, die das Rizzi Haus planen.


 

Inhalt | Entwurf einer Collage: Der Beitrag des Rizzi Hauses

 

1999 Richard Borek Stiftung, Theodor-Heuss-Strasse 7, 38090 Braunschweig.
Die 28-seitige Broschüre ist für 2 Mark Schutzgebühr bei Borek am Dom erhältlich.

Magniviertel www.magniviertel.de