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Das Magniviertel - Beispiel bürgerlicher Gestaltung städtischen Lebens

 

Am Magnitor Da im Jahre 1978 das Magnifest, das Spätsommerfest der Bürger und Geschäftsleute des Magniviertels, in sein fünftes Jahr gekommen ist, ist Anlaß gegeben zu einigen Anmerkungen betreffs der Wirklichkeit dieses Viertels und seinen Möglichkeiten - und zwar im Allgemeinen und im Besonderen.

Anmerkungen von Jürgen Husung, 1979.


 

Fassaden am Ölschlägern Die Rede ist im folgenden von einem Stadtteil, der ein Lebensraum von Menschen ist, deren vitale Interessen sich nicht immer widerspruchslos vereinen lassen - und doch immer wieder vereint werden müssen, wenn man denn diesem Stadtteil eine Zukunftschance geben will, die seinen zweifelsfrei vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten gerecht wird: Ein Quartier zu bleiben und zu werden, das durch den Unfug radikaler Entmischung von Gewerbe und Wohnen und absoluter Trennung von Fahr- und Fußgängerbereich noch nicht verödet ist und eine innerstädtische Lebensform anbieten kann, die nicht an den Krankheiten leidet, die Zivilisationskritik städtischem Leben sonst unterstellt - ohne die Reflektion unserer heutigen Lebensbedingungen sind Entscheidungen im Bereich der Stadtplanung nicht zu verantworten. Das wissen Stadtplaner, Stadtpolitiker und Verwaltungsfachleute manchmal besser als die Bürger selbst. Verzichtet man auf diese Reflektion, läßt man im städtischen Leben ein Vakuum entstehen, das dann von einer Anarchie der Privatinteressen ausgefüllt wird. Das zu verhindern, ist die Aufgabe. Deshalb gilt es, den Konflikt zwischen dem, was privat beansprucht wird und dem, was öffentlich verantwortet werden kann, immer wieder beim Namen zu nennen und zu diskutieren. Eine organisierte Bürgerschaft kann die notwendige Vermittlung leisten, wenn sich ihr Blick nicht trübt im Nebel sehr privater Interessen. Bei dieser Aufgabe ein wenig Hilfestellung und Entscheidungshilfe zu geben, ist die Hoffnung, in der diese Zeilen geschrieben werden.

Das Magniviertel ist ein alter Stadtteil, der in seinen wesentlichen Zügen die Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges überdauert hat. Auch der Bauwut der Wirtschaftswunderzeit fiel das alte Viertel nicht zum Opfer. Aus seiner von keinem spekulativen wirtschaftlichen Interesse gestörten Ruhe erwachte das Viertel erst, als an seinem Rande ein Kaufhausbau entstehen sollte, der aus der Perspektive des mittelalterlich-kleinteiligen Quartieres wahrhaft gigantische Ausmaße hatte. Der organisierte Widerstand der Bürger und Geschäftsleute des Viertels konnte zwar das pompöse Bauwerk nicht verhindern, aber es hatte sich auf dem Umwege der Opposition ein Quartierbewußtsein entwickelt, das den Anliegern die Augen öffnete für das eigentümliche Milieu des Viertels. Es dämmerte eine Ahnung von den spezifischen Möglichkeiten dieses Gebietes, das sich als relativ eigenständiges Territorium vom städtischen Umfeld abhebt. So sind die erlebten Grenzen des Viertels durch breite Straßenzüge (Stobenstraße, Georg-Eckert-Straße) oder durch weitläufige Parkanlagen (Schloßpark, Museumspark, Löwenwall) deutlich markiert und umschreiben einen überschaubaren Lebensraum, der das menschliche Maß eines Fußweges nicht übersteigt. Markante und unverwechselbare Baulichkeiten (z. B. Magnikirche) fungieren als Merkzeichen, die die Orientierung erleichtern und den Bewohner als vertraute Merkmale daran erinnern können, daß er "zu Hause" ist.

Solche Möglichkeit, einen Ort über seine augenfälligen Eigenarten zu identifizieren, ist Voraussetzung für das, was Wissenschaftler "Identität des Ortes" nennen und als mögliche Voraussetzung für das Zugehörigkeitsgefühl zu einem Ort herausstellen, das seinerseits eine soziale Grundleistung darstellt, die Bedingung der Möglichkeit vielfältiger anderer sozialer Leistungen ist. Nach meiner Beobachtung gibt es im Magniviertel durchaus Ansätze zu einem solchen Zugehörigkeitsgefühl, die sich sozial entwickeln ließen. Auffällig viele Familien wohnen schon in der zweiten oder dritten Generation im Viertel, und zwar nicht nur Hauseigentümer, bei denen es nahe liegt, sondern auch Mieter. Ebenso fällt auf, daß ehemals im Viertel Ansässige gern in es zurückkehren bzw. jetzt Ansässige es ungern verlassen. Dieser Tendenz zur Seßhaftigkeit korrespondiert die Anziehungskraft, die das Viertel ausübt. Die Zahl derjenigen, die im Viertel ansässig werden möchten, ist größer als die Zahl der Wohnungen, die heutigen Ansprüchen an Wohnraum gerecht werden. Und sicher ist, daß Neubürger sich relativ schnell in das Viertel integrieren können, wenn sie diese Integration wollen. Im Blick auf dieses Problem wären fundierte Befragungen wünschenswert, deren Relevanz für die Stimulation des öffentlichen Lebens die Ergebnisse von Verkehrszählungen weit übersteigt.

Magnifest 1978

 

Langedammstrasse, Blick auf Horten Ein weiterer objektiver Faktor für die Chance sozialer Kommunikation im Magniviertel ist darin zu sehen, daß das Viertel im Vergleich zu anderen Stadtteilen ein besonders breites Spektrum der Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen nicht nur des täglichen Bedarfs bietet. Daraus resultiert zumindest die Möglichkeit, sich am Orte selbst zu versorgen, ohne den Zwang zu weiten Wegen und beschwerlichen Anfahrten, was für ältere Mitbürger bedeutsam ist. Aber auch für jüngere Mitbürger, die Kinder nämlich, ist die Situation des Viertels günstig: Grundschule und Gymnasium befinden sich im Viertel selbst. Das erleichtert nicht nur Kontakte zwischen den Kindern, sondern hilft auch deren Eltern, Beziehungen zu knüpfen, die im Viertel selbst verbleiben und sich deshalb leicht verwirklichen lassen. Auch Institutionen, die traditionell als Kulturträger fungieren, Theater und Museen, sind entweder im Viertel selbst vorhanden oder in unmittelbarer Nähe leicht zu Fuß erreichbar.

Neben diesen klassischen Institutionen bürgerlicher Kultur sind auch gastronomische Betriebe im Viertel vertreten. Man darf in den Restaurants und Gasthäusern nicht nur Höhlen des Lasters sehen oder Freizeitheime von Alkoholikern. Es ist vielmehr nachgewiesen, daß die "Kneipe um die Ecke" einen Kommunikationsschwerpunkt bilden kann, der vielfältige Folgekontakte ermöglicht. Diese konstruktive Wirkung hebt sich allerdings auf, wenn sich durch eine Anhäufung solcher Betriebe ein Zentrum der Vergnügungsindustrie herausbildet, das so viel Belästigung mit sich bringt, daß das Wohnen darunter leiden muß. Die Möglichkeit, ungestört zu wohnen, ist aber eine Bedingung, ohne die sonst gar nichts geht. Sie ist so selbstverständlich und zumindest rhetorisch so allgemein anerkannt, daß wir uns gezwungen sehen, gegen diesen Bereich der Privatheit auf die Bedeutung der Öffentlichkeit als Lebensraum zu verweisen, der im Mittelpunkt unserer Überlegungen steht.

 

Herrendorftwete Mit dieser gewiß unvollständigen Beschreibung der Lagevorteile und Situation des Magniviertels soll nicht behauptet werden, es herrschten hier die paradiesischen Zustände einer vorindustriellen Gemeinschaft von Stadtbürgern, die alltäglich und leichthin Beziehungen verwirklichten, die wir heute ganz technisch als Kommunikation zu bezeichnen pflegen und wenn's glücklich fällt - mühselig genug herzustellen versuchen. Aber auch wenn man nicht treuherzig daran glaubt, daß der Bau eines Kommunikationszentrums eine Garantie für gelebte Kommunikation ist, so kann man doch andererseits nicht übersehen, daß es bauliche Situationen gibt, die sozialem menschlichen Leben förderlich sind, während andere es stören und erschweren. Eine solche bauliche Situation stellt meines Erachtens das Magniviertel dar: Es bietet günstige Bedingungen für die Entwicklung vielfältiger zwischenmenschlicher Beziehungen, und zwar ganz besonders im Bereich des öffentlichen Lebens, dessen Pflege eine vordringliche Aufgabe einer organisierten Bürgerschaft ist.

In diesem Kontext sollte man auch das Magnifest sehen, dessen Erfolg nur Mißgunst und Unverstand auf besonders intensive Möglichkeiten des Konsums von Bier und Wurst zurückführen kann. Diese Möglichkeiten bestehen eigentlich immer und auch anderswo, ohne daß es dabei zu dem Kommunikationserlebnis kommt, das viele Besucher des Magnifestes so nachdrücklich in Erinnerung behalten. Zu berücksichtigen ist, daß es hier Atmosphäre und Situation sein müssen, die kommunikative Beziehungen sehr wahrscheinlich machen. Das liegt wohl auch darin, daß Häuser, Straßen und Plätze des Magniviertels sehr menschlich proportioniert sind und eben humanen Maßen entsprechen, die Ausdruck eines Bauwillens sind, der nicht so sehr rein wirtschaftlichen Erwägungen als vielmehr einem nachbarschaftlichen Konsens entsprang. Umso behutsamer muß man mit dieser Gunst der Architektur umgehen. Überhaupt sollte man die Altstadtfeste nicht leichtfertig als Konsumspektakel denunzieren. Sie können durchaus auch als Zeichen eines wiedererwachten städtischen Gemeinschaftslebens verstanden werden und verdienen eine ernsthafte stadtpolitische Aufmerksamkeit. Wo diese Feste nämlich von der Bürgerschaft selbst getragen werden, stellen sie doch Kommunikationsverhältnisse her, die zumindest temporär sogenannte "schichtenspezifische Barrieren" durchbrechen und zu manchem Dialog führen können, der arm ist an gesellschaftlicher Geltungssucht und fern von Konkurrenzdruck. Solche schlichte Kenntnisnahme von Neben-Menschen beinhaltet die Chance, den Mitmenschen kennenzulernen und damit die Möglichkeit nachbarschaftlicher Kommunikation, wenn man den Funken der besonderen Situation, die ein Fest zunächst ist, am Glühen erhält. Das setzt einerseits bürgerliches Engagement voraus, das durch Kontinuität gekennzeichnet ist. Andererseits könnten politische Kräfte und Verwaltung der Städte vielfältige Unterstützung leisten, um dergestalt den Geist der Stadt zu pflegen. Brauchtumsforscher haben auf die kommunikative Wirkung und politische Bedeutung der alten Volksfeste hingewiesen. Sie betonen aber auch, daß z. B. die Fastnacht, die alle Merkmale eines wirklichen Volksfestes aufwies, durch elitäre Verwaltung und Vereinsmeierei zu einer ausschließlichen Angelegenheit der oberen Mittelschicht verkommen ist. Eine Wiedergeburt des Volksfestes, so vermerkten Volkskundler und Brauchtumsforscher unlängst auf einer Tagung in Mainz, sei wohl in den Altstadtfesten zu sehen. Das zeigt auch, wie wichtig es ist, möglichst viele Bürger aller Schichten an Vorbereitung und Durchführung solcher Feste zu beteiligen. Besondere Vorsicht ist deshalb bei Bemühungen geboten, solche Veranstaltung, die weniger eine kommerzielle als vielmehr eine politische Chance birgt, in die Verwaltung einer Agentur zu geben und sie so von der Basis zu lösen. Wohl aber könnte man sich - zumal in Problemgebieten wie der City eine professionelle Organisationshilfe vorstellen, die bürgerliche Eigeninitiative in Bewegung setzt und das Gewirr unterschiedlichster Vorstellungen in eine Ordnung bringt, die noch genug Raum läßt für Spontanität und erfinderische Kreativität.

Jürgen Husung

 

Aus: Deine Stadt 1979, herausgegeben vom Kulturamt der Stadt Braunschweig.
Fotos: Otto Hoppe und Helmut Wesemann (Magnifest 1978).

Magniviertel www.magniviertel.de